Fachtagungen zur Pikler®-Pädagogik

+ Rückblick Pikler Fachtagung 2024

Bericht über die Pikler-Fachtagung in Berlin (20. – 22. Juni 2024) - Ausschnitt

 „Sich und die Welt kennenlernen – Bildung in der Pikler Pädagogik“ lautete der Titel der 10. Fachtagung, die von der Pikler Gesellschaft Berlin e.V. ausgerichtet wurde.

Nach einer kurzfristig nötig gewordenen Änderung des Veranstaltungsortes startete die hybride Tagung am späten Nachmittag des 20. Junis mit rund 90 Teilnehmenden vor Ort in Berlin-Mitte, sowie etwa 40 weiteren Menschen im virtuellen Raum.

In den Tagungsbeiträgen wurde die Frage, was Bildung für uns im pikler-pädagogsichen Sinn bedeutet und wie Bildungsinhalte vermittelt werden, in den Mittelpunkt gestellt und somit einen bisher kaum beachteter Aspekt des Pikler-Konzepts beleuchtet. In dieser Zusammenfassung versuchen wir, Einblicke in den Gedankenreichtum der durchweg großartigen Beiträge zu ermöglichen, müssen uns dabei jedoch auf wenige Aspekte beschränken, was notwendigerweise zu Verkürzungen führt.

Donnerstag, 20. Juni 2024

Nach einer Begrüßung durch Monika Aly, Vorsitzende der Berliner Pikler Gesellschaft, eröffnete Prof. Dr. Marion Wieczorek von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg die Tagung mit ihrem einführenden Vortrag: „Sich und die Welt kennenlernen – Bildung erleben“. Ausgehend von der Frage, ob es in der Pikler-Pädagogik einen Bildungsbegriff gibt und wenn ja, wie dieser in die heutige pädagogische Diskussion einzuordnen sei, verglich Frau Wieczorek schriftliche Äußerungen von Mitarbeiterinnen des Pikler-Instituts aus der Zeit des Säuglingsheims - dieses bestand von 1946 bis 2011 - mit Formulierungen aus der heutigen wissenschaftlichen Diskussion zum Thema Frühe Bildung.

Dass der Bereich „Bildung“ im Pikler-Konzept nicht prägnanter ausformuliert ist, sei historisch bedingt: erst in den letzten Jahren befasst sich die Erziehungswissenschaft konkret mit Bildung und Bildungskonzepten im U3-Bereich. Dennoch wird aus Texten der Pädagoginnen, Ärztinnen und Psychologinnen des Pikler-Instituts,die die Pikler Pädagogik praktisch und theoretisch ausgeformt haben, deutlich, dass ihnen die Notwendigkeit, Gelegenheiten zu schaffen, durch die die Kinder ihre Umwelt zunehmend kennen lernen und verstehen konnten, wohl bewusst war. Dr. Judit Falk formulierte eines der Lóczy-Grundprinzipien: „…die Wichtigkeit, dass sich jedes Kind als Person akzeptiert und anerkannt fühlen kann, und es ihm – seinem eigenen Tempo gemäß zu ermöglichen, ein Bewusstsein seiner selbst und seiner Umgebung zu entwickeln sowie der es betreffenden Ereignisse in der Gegenwart und nahen oder ferneren Zukunft.“ Auch wurden etliche „Programme“ entwickelt, die das Leben der Kinder im Lóczy zusätzlich bereicherten: beispielsweise der Besuch des Spielhauses, regelmäßig organisierte Spaziergänge oder Ausflüge. Diese in Kleingruppen durchgeführten Aktivitäten folgten genau ausgearbeiteten Choreographien und wurden von den Interessen und Initiativen der Kinder geleitet, wobei die begleitende Erwachsene für ihre Fragen und Bedürfnisse zur Verfügung stand. Die zusätzlichen Angebote erweiterten die Erfahrungen und Kenntnisse, die sich die Kinder im Alltag durch ihre selbständigen Spielaktivitäten und durch den engen Austausch mit ihren Betreuerinnen in Pflegesituationen erarbeiten konnten. Sie eröffneten ihnen schrittweise und alltagsnah einen sich weitenden Zugang zur Welt.

Die Handlungsweisen und Gedanken aus dem Pikler-Institut sind damit in hohem Maße anschlussfähig an heutige Konzepte des erfahrungsbasierten Lernens. Die Forschung bestätig, dass die Einbettung des Lernens in Alltagszusammenhänge den Entwicklungsbedürfnissen der unter Dreijährigen entspricht, die zunächst Erfahrungen benötigen, um diese nach vielen Wiederholungen abstrahieren und verallgemeinern zu können. Erst wenn diese Prozesse im frühen Kindesalter vielfältig stattgefunden haben und eine Erfahrungsbasis bilden, wird abstraktes Lehren und Lernen sinnvoll. Durch die Sprache lässt sich Erfahrung teilen, gemeinsam erinnern oder antizipieren. Konzepte von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entstehen. Sich selbst kennen lernen und die Welt erfahren gehört untrennbar zusammen, Selbst- und Welterkenntnis sind verknüpft.

Prof. Wieczorek erläuterte Emmi Piklers immanentes Bildungsverständnis, das der Tatsache Rechnung trägt, dass junge Kinder von Geburt an auf selbstinitiiertes Erfahrungslernen ausgerichtet sind. Somit erfüllt das Pikler-Konzept den Bildungsauftrag in deutschen Krippen und Tagespflegeeinrichtungen, und zwar sowohl durch die Bedeutung des freien Spiels und dessen bewusster Förderung, als auch durch die Rolle des Erwachsenen als Person, die auf individuelle kindliche Initiativen aufmerksam ist, ihnen Worte gibt und Kenntnisse situativ abgestimmt erweitert.

 

Der zweite Vortrag am Donnerstagnachmittag wurde von Andrea Szöke, Leiterin der Pikler-Krippe in Budapest, gehalten und stellte im Titel die Frage: „Wie eröffnet sich die Welt im Dialog mit dem Erwachsenen?“

Darin beschrieb sie, wie die Erzieherinnen in der heutigen Lóczy-Krippe den Kindern in vielfältiger Weise zur Verfügung stehen und für ihre Fragen offen sind. Das Bedürfnis der Kinder, beispielsweise in der Eingewöhnung, ihre neue Umgebung kennen zu lernen und die Abläufe zu verstehen, wird aktiv befriedigt, indem die Kinder einfache, erklärende Worte bekommen und sorgfältig darauf geachtet wird, dass sie sich in jeder Hinsicht gut orientieren können.

Schon kleine Säuglinge im Heim wurden jederzeit informiert, was die Pflegerinnen mit ihnen vorhatten, Handlungen wurden angekündigt und so die Kooperation mit dem Kind vorbereitet und ermöglicht. Auch in der Krippe bekommt jedes Kind täglich Informationen darüber, wie sich sein Tagesablauf gestaltet, zum Beispiel welche Erzieherin nach dem Mittagsschlaf für es da sein wird oder wer es am Nachmittag abholt. Vorhersehbarkeit zu schaffen und Orientierung zu ermöglichen, ist eine bewusste Aufgabe der Erzieherinnen. Sie gibt den Kindern Sicherheit und hilft ihnen, in Ruhe ihren Platz in der Gruppe einzunehmen.

Auch indem die Erzieherin der Aufmerksamkeit des Kindes folgt, kann sie Fragen des Kindes aufgreifen: das Kind teilt beispielsweise mit, dass es ein Flugzeug am Himmel entdeckt hat und bekommt dazu Worte vom Erwachsenen – durch das Triangulieren, der gemeinsamen geteilten Aufmerksamkeit, vermehrt sich die Sprache, die dem Kind zusätzlich zu seinen Erfahrungen im freien Spiel Informationen über die Welt zur Verfügung stellt. Durch konsistente Antworten und Erläuterungen des Erwachsenen lernt das Kind, dass es sich lohnt, zu fragen und dass es sich lohnt, sich miteinander zu unterhalten....(...)

Hier geht es zum gesamten Rückblick:
Tagungsbericht

 

Das Tagungsprogramm finden Sie hier:
Tagungsprogramm

Fotos: © Marian Reismann, Spaziergänge Lóczy, Budapest

 

+ Rückblick Pikler-Fachtagung 2022 - Miteinander vertraut werden in Tagespflege und Krippe

Die diesjährige Krippentagung der Pikler-Gesellschaft Berlin mit dem Titel „Eingewöhnung - Miteinander vertraut werden in Tagespflege und Krippe“ im Februar fand wiederum im Zoom-Format statt. Der Corona-Situation geschuldet, ermöglichte dieses Format einem größeren Personenkreis das Dabeisein, so dass wir auch Teilnehmende von weiter her, beispielsweise aus der Schweiz und aus Österreich begrüßen durften.

Natürlich fehlten uns, wie so oft, die persönliche Begegnung und auch das Flair der Ungarischen Botschaft, die die Tagungen in den Jahren vor Corona beherbergt hatte. Dafür waren die Filmbeiträge umso besser am heimischen Bildschirm zu sehen und wir konnten eine ganze Reihe Vortragende aus Budapest hören, da diese nicht extra reisen mussten. Ein lebendiger, angeregter und anregender Austausch entstand trotz dieser Umstände durch das große Interesse der Teilnehmenden an dem komplexen Thema des Einlebens junger Kinder in eine neue, noch fremde Umgebung und der Aufgaben, die die Erwachsenen dabei haben.
Anna Tardos hatte aus gesundheitlichen Gründen zu unserem Bedauern kurzfristig absagen müssen – für sie sprangen Jutka Hafner und Szilvia Papp (beide Budapest) ein.
Gleich nach der Begrüßung durch das Moderatorinnengespann Monika Aly und Anja Werner (Vorsitzende der Pikler Gesellschaft Berlin e.V.) starteten sie mit ihrem Vortrag zum Thema "Wie lebt die Familie in der Krippe".
Auf der Basis einer kontinuierlichen Kommunikation mit den Eltern versuchen die Erzieherinnen in der Krippe ein Gleichgewicht mit den Familien zu finden, das getragen ist von einem gemeinsamen Ziel: dass das Kind sich in der Krippe wohlfühlen möge.
Es braucht das gemeinsame Nachdenken mit den Eltern, wie es am besten gelingen kann, dass sie dieses Ziel verwirklichen können. Auf die Informationen der Eltern greifen die Erzieherinnen im Laufe des Tages in den Begegnungen und bei den Begebenheiten mit dem Kind zurück und führen so die Lebensrealität des Kindes in der Familie in der Krippe fort. Die Eltern werden nicht nur vom Kind "in die Krippe hineingeholt", sondern auch die Erzieherinnen erwähnen von sich aus oft am Tag die Eltern des Kindes.

Der zweite Vortrag an diesem Donnerstag hieß "Stufenweise eingewöhnen" von Zsusza Libertiny, einer der drei teambegleitenden Pädagoginnen der Budapester Krippe im Lóczy. Die vielfältigen Erfahrungen mit Eingewöhnungen in der Budapester Krippe bilden sich in ausdifferenzierten Dokumentationen ab, die die Reflexion und Weiterentwicklung der einzelnen Schritte ermöglichen. Eine Tabelle, welche Aufgaben an welchem Tag des Einlebens des Kindes in die Krippe das Kind, das Elternteil, und die Erzieherinnen der Gruppe - die Erzieherin 1 und Erzieherin 2 und 3 - haben, hilft dabei, den Prozess transparent zu machen und lässt die Eltern die Schritte mitverfolgen. Sie erleben die Bedeutung der Veränderungen und ermöglichen es dem Kind zu kooperieren und die neue Bekanntschaft aktiv mitzugestalten, da es sich auf bevorstehende Ereignisse, von denen es Kenntnis hat, vorbereiten kann.

Videos machten uns solche bevorstehenden Ereignisse sichtbar und nacherlebbar, ausgefüllte Tabellen ließen uns den lebendigen Prozess nachvollziehen.

Die anschließende Diskussion war lebhaft und gab vertiefende Einsichten zu schwierigen Momenten in dieser sensiblen Phase im Übergang von Familie zu Krippe und

Tagesbetreuung, z.B. das Weinen des Kindes, die Kooperation der Eltern, das Krankwerden der Erzieherin oder des Kindes.

Der Vortrag von Andrea Szöke (Leiterin der Budpester Loczy Krippe) am Freitag wendete sich dann auch diesem wichtigen Thema zu: "Wie begleiten wir die Gefühle des Kindes während der Eingewöhnung" und nahm auch die Eltern mit ihren Emotionen mit in den Fokus ihres Vortrages. Sie berichtete zum Beispiel vom Hinarbeiten auf einen wertschätzenden Abschied, einen Abschied, der geehrt wird und das Kind vorbereitet, dass es jetzt auch die Emotionen zeigen kann, die zu einem Abschied dazu gehören: Gefühle wie Kummer, Schmerz, Traurigkeit bekommen Raum und werden begleitet. Eines der Videos zeigte zum Beispiel, wie ein Kind beim Abholen durch den Vater von seinem Tag erzählt: es zeigt auf den Garten und später auf das Foto der Familie und der Vater versteht - mit den Berichten der Erzieherin dazu - , dass das Kind auch die Familie vermisst hat im Laufe des Tages.

Durch berührende Foto- und Filmsequenzen machte Andrea Szöke deutlich, wie ernst die Kinder in der Trennungsphase daran arbeiten, sich zu regulieren und die ungewohnte Situation zu meistern und zeigte uns in Beispielen, welche Hilfestellungen sie dabei von den Erzieherinnen bekommen. Diese unterstützen feinfühlig und individuell, ohne die schweren Gefühle der Kinder zu überdecken. Es wurde spürbar, dass das Dasein ohne Begleitperson in einer fremden Umgebung eine große und schwierige Aufgabe für das kleine Kind ist, die auch höchste Anforderungen an die eingewöhnende Erzieherin und das Team stellt.

Danach durften wir die Geschichte einer Eingewöhnung aus einer pikler-orientierten Krippe in Berlin hören und sehen – Jasmin Bolten (Berlin) sprach über die besondere Form des Einlebens in ihrer Einrichtung und zeigte uns dazu Fotoserien, die während einer Übergabe entstanden waren und die Beziehung zwischen Kind, Elternteil und Bezugserzieherin in feinen Facetten veranschaulichten. „Beispiel einer Eingewöhnung in einer an Pikler orientierten Krippe“.

Es wurde sichtbar, was Jutka Kelemen im Anschluss in ihrem Vortrag "Beobachtung und Dokumentation" dann beschrieb: wie uns diese beiden Dinge - Beobachten und Dokumentieren - helfen, das Kind kennenzulernen. Sie lenkte unser Zuhören auf die Fragen: Fragen, die uns helfen das Geschehene zu betrachten, Fragen, die uns anregen über das Kind nachzudenken, Fragen über das Kind für die Eltern, Fragen nach den kleinen Details. Fragen sind die Hilfsmittel, die das Beobachten und Dokumentieren unterstützen. Z.B. finden sich in der Dokumentation der Eingewöhnung Antworten auf Fragen über das Ankommen des Kindes oder wie es war, als das Elternteil den Raum verließ und was es dann getan hat, in "lyrischer" Form - wie eine Erzählung, an das Kind gerichtet - in einem handschriftlich verfassten Eingewöhnungsheft wieder.

Ein Raum für Fragen mündete in die Mittagspause, in der in virtuellen Räumen diese Zeit gemeinsam verbracht werden und unterschiedliche Gruppen von Teilnehmerinnen besucht werden konnten.
Das lockere Plauschen und Plaudern aus der Mittagszeit ging über in thematischen Austausch in Kleingruppen zu weiteren Aspekten der Eingewöhnung:

Besondere Fragen in der Tagespflege (Ulrike Apitz) - Eingewöhnung in einer Pikler- orientierten Krippe (Jasmin Bolten, Marielle Rivera; Amelie Suchy) - Beobachtung und Dokumentation (Andrea Szöke, Heike Gräf, Eszter Farkas; Jutka Kelemen, Szilvia Jördens) -

Unterschiedliche Eingewöhnungsmodelle, Beziehung und Bindung (Anke Zinser, Antje Hofmann) - Die Spielraumsituation als Vorbereitung auf die Krippe (Charlotte Mühlinghaus, Susanne Schagen) - Sprache-Eingewöhnung mit anderssprachig aufwachsenden Kindern (Margarete Große-Rhode, Dorothea Heckl) - Kinder mit Behinderung kommen in die Krippe (Monika Aly, Anja Werner)

Den Tag beschlossen reiche Eindrücke und Einsichten aus den Arbeitsgruppen.

Den für Eltern schwierigen Momenten in der Eingewöhnung wandte sich Jutka Hafner in ihrem Vortrag am Samstag zu. Das Bild, das sie von den Eltern zeichnete, ihr Einstieg über die vielfältigen Fragen, Sorgen und Ängste der Eltern, von denen sie im Laufe der Jahre Kenntnis erhielt, ließen uns bei ihren Videobeispielen in einer Tiefe auf den Elternteil, sein Sein mit dem Kind, seine Verständigung mit der Erzieherin, seine Präsenz im Gruppenraum, seinen Abschied vom Kind, sein Weg aus der Gruppe schauen und beobachten, dass tiefe Einsichten möglich wurden.

Szilvia Papps Vortrag widmete sich dem Thema "Wie sich die Beziehung nach der Eingewöhnung in den Pflegesituationen vertieft". Die Pflegesituationen sind zentral bei der Entstehung der Beziehung zwischen Erzieherin und Kind und spiegeln deren Vertrautheit miteinander. Von den ambivalenten Gefühlen des Kindes zu Anfang des Krippenlebens, die sich in der Körpersprache des Kindes in der Filmszene ausdrückten, bis hin zum freudigen, genussvollen Zusammensein, wenn sich das gegenseitige Kennenlernen vertieft hat, war ein deutlicher Prozess erkennbar.

Der umfassende Blick dieser Tagung auf das Einleben des Kindes in eine Kindertagesbetreuung oder Krippe, die Erweiterung seiner Lebensrealität Familie um das alltägliche Leben in einer Kindergruppe mit neuen nun für es mitverantwortlichen Erwachsenen, wurde einmal mehr in Zsuzsa Libertinys Abschlussvortrag "Neue Umgebung, neue Gewohnheiten, neue Regeln - wie unterstützen wir die Sozialisation des Kindes in der Krippe?" sichtbar. Die Behutsamkeit der Führung durch die Erwachsenen, die die Kinder geduldig orientieren und ihnen beim Kennenlernen der neuen Gepflogenheiten beistehen, der durch und durch gewaltfreie Umgang der Mitarbeiterinnen des Pikler-Instituts mit den ihnen anvertrauten Kindern berührte uns ganz besonders vor dem Hintergrund des beginnenden Krieges in der Ukraine und machte deutlich, wie existentiell unsere Bemühung um das emotionale Wohlergehen des Kindes ist.

Ein erneuter Austausch in Kleingruppen verschaffte allen die Möglichkeit, sich in der Reflexion des Gehörten in Verbindung mit den eigenen Fragen zu zeigen und von anderen zu hören, sich dadurch kennenzulernen und die eigene Fachpraxis zu vertiefen, nächste Schritte in der eignen Entwicklung zu sehen.
Auf den abschließenden Vortrag von Anna Tardos, der unseren Tagungen in Berlin seit vielen Jahren einen geschätzten Rahmen gab, mussten wir diesmal leider verzichten. Es erreichten uns allerdings persönliche Grüße, die die innere Anteilnahme am Thema, an der Tagung und unsere über viele Jahre gewachsene Verbindung spüren ließen.
Mit vielen dankenden Abschlussworten und Chatbeiträgen ging diese reichhaltige und intensive Tagung zu Ende.

Amelie Suchy und Anja Werner

"Was mich als Erzieherin in der Auseinandersetzung mit der Pikler Pädagogik immer wieder in der Tiefe berührt, ist die Wahrhaftigkeit in Bezug auf die Gefühle, die wir Menschen erleben. Ganz offen sprechen die MitarbeiterInnen aus dem Lóczy auch über den Schmerz, den die Kinder durch das Getrennt-Sein von den Eltern erleben. Darüber, dass sie diesen Schmerz den Kindern nicht abnehmen können. Diese ernsthafte Anerkennung des Schmerzvollen und die aufrichtige Begleitung des Kindes, welches dabei ist, seinen Weg zu finden, berührt mich sehr und inspiriert mich immer wieder. Andrea Szöke sprach in ihrem Vortrag sehr eindrücklich über diese Begleitung der Gefühle des Kindes, in ihren Videos wurde noch deutlicher, wie präsent und gleichzeitig zurückhaltend die Erzieherin sich dem Kind gegenüber verhält, sie erkennt das Kind und seine Gefühle ganz an, versucht nicht mehr und nicht weniger aus der Situation zu machen, sie ist wirklich beim Kind, an seiner Seite. So, wie es das Kind gerade braucht und zulässt.

In unserer Arbeitsgruppe sprachen wir unter anderem darüber, was Beziehung eigentlich ist oder was eine Beziehung eigentlich wachsen lässt. Eine Teilnehmerin wurde ganz nachdenklich als wir darauf kamen, dass Beziehung ja nicht erst da ist, wenn die ErzieherIn einem Kind beispielsweise die Nase bereits putzen darf, sondern dass die Beziehung auch ist, sich respektvoll zu nähern und abzuwarten, das eventuelle Zögern des Kindes zu achten und darauf zu reagieren. Das war ein besonders schöner Moment. Wir sprachen über diese Erfahrung der Selbstwirksamkeit und Mitbestimmung, die es dem Kind ermöglicht, selbst aktiv zu sein und zu spüren, dass sein Rhythmus, seine Wünsche und Grenzen geachtet werden. Miteinander vertraut werden, sich gegenseitig kennenlernen, aufeinander achten, neugierig sein...

Das Thema „Eingewöhnung“ oder "das Einleben des Kindes in der Krippe oder Kindertagesbetreuung begleiten" bedeutet für mich eine Art Königsdisziplin, hier nehmen wir alle Fäden neu auf und gleichzeitig laufen alle Fäden unserer bisherigen Erfahrungen hier zusammen.
Ich möchte mich für diese reiche Tagung bedanken."

Jasmin Bolten

Rückblick Fachtagung 2021 – „Übergänge achtsam begleiten in Tagespflege und Krippe“

Eingerahmt von einer Einführung in das Thema und einem Abschlussvortrag mit dem Titel "Vertrauen als Basis für gelingende Übergänge" durch Anna Tardos, startete unsere erste Online-Tagung mit ca. 120 TeilnehmerInnen. Der technische Support lag in den Händen von Charlotte Mühlinghaus und trug uns sicher durch die drei Tage.

Bevor wir am ersten frühen Abend in einem Film-Preview Einblicke in den neuen Film "Spielen - Die Welt des Kindes, ein Tag in der Pikler-Krippe Lóczy in Budapest, Regie Katalin Pázmándy bekamen, hatten wir bereits im Vortrag von Andi Szöke (Leiterin der Krippe in Budapest) und Fruzsina Korda einige Kinder, Eltern und pädagogische Fachkräfte beim morgendlichen Bringen und nachmittäglichen Abholen erlebt: "Über spezielle Situationen morgens und nachmittags: Ankommen und Abholen."

Ein weiteres Gespann von pädagogischer Begleiterin - Zsuzsa Libertiny - und Erzieherin - Jutka Hafner - beleuchtete am Freitag "Vorhersehbare Tagesabläufe - ohne Wartezeiten" mit Diagrammen und Visualisierungen basierend auf in der Krippe erhobenen Daten. Sehr eindrücklich erlebbar wurde dadurch der individualisierte Tagesablauf eines jeden Kindes und dessen Einbettung in den Tagesverlauf einer Kindergruppe. Szilvia Papp und Jutka Kelemen - eine weitere Pädagogin und eine Betreuerin aus einer der drei Krippengruppen - sprachen in ihrem Vortrag über "Kinder, die jeden Wechsel als schwer erleben". In den Videobeispielen sahen wir Kinder, die wir gerade im neuen Film von der Budapester Krippe kennengelernt hatten. Eine besondere Verknüpfung.

Amelie Suchy berichtete anhand von Fotoserien aus einer deutschen Einrichtung vom Ankommen zweier Kinder (Zwillinge) mit ihrem Vater und dem Ankleiden an der Garderobe zum Hinausgehen. Bild für Bild wurden die Bezüge und inneren Vorgänge aller Beteiligten entfaltet.  Die Online-Arbeitsgruppen in Breakoutsessions erlebten viele Teilnehmer:innen als besonders fruchtbar: deutlich kleinere Gruppen, nach beruflichem Feld geordnet, unterstützen das Knüpfen von Kontakten und das Anbahnen von Netzwerken der unterschiedlichen Berufsgruppen: Erzieherinnen, Fachberatungen, Tagesbetreuerinnen, Therapeutinnen und Leitungen von Einrichtungen. Gerade nach dem Interview mit zwei Tagesmüttern – Annett Bossin und Ulrike Apitz - durch Dorothea Heckl wurde der Bedarf an Austausch und Verknüpfung ein weiteres Mal deutlich spürbar.

Die Tagung online durchzuführen, die Teilnehmer:innen von Angesicht zu Angesicht zu sehen, viele Vortragende erleben zu können, einen ungehinderten, nahen Blick auf Videos und Bilder zu haben, war spannend und lohnend.

Vergangene Fachtagungen:

  • März 2021: Übergänge achtsam begleiten in Tagespflege und Krippe (Online-Tagung)
  • Jan/Feb 2019: Beobachten, Verstehen und Begleiten (Botschaft von Ungarn)
  • September 2017: Herausfordernde Situationen im Zusammensein mit Kindern in der Krippe (Botschaft von Ungarn)
  • Juni 2015: Mahlzeiten in der Krippe (Botschaft von Ungarn)
  • März 2014: Spielen und Lernen, Entwicklung der Intelligenz durch freie Spieltätigkeit (Botschaft von Ungarn)
  • November 2012: Soziales Lernen in der frühen Kindheit (Botschaft von Ungarn)
  • Oktober 2011: Lasst mir Zeit! Qualitätsvolle Betreuung von Kindern in der Krippe (Berliner Stadtmission)
  • Februar 2010: Lasst mir Zeit! Qualitätsvolle Betreuung von Kindern in der Krippe (Evangelische Kirche in Mitte)